Plädoyer für die Freiheit

Plädoyer für die Freiheit

Ein Plädoyer für die Freiheit, und nicht nur für die anwaltliche, hielt Rechtsanwältin Juliane Kirchner aus Augsburg auf dem Rednerwettstreit es Deutschen Anwaltsvereins 2008. Ihre pointierte Rede, mit der sie den ersten Platz belegte, möchte ich Ihnen nicht vorenthalten:


Hohes Gericht, es wäre sicherer, mich einzusperren.

Ich bin ein Risiko für die allgemeine Sicherheit, es besteht begründeter Anfangsverdacht gegen mich, sowie der Haftgrund der Gefahr.

Ich bin ein Risiko, denn - ich fahre Auto. Würde mir ein Geisterfahrer entgegenkommen, käme es zu einem Unfall, zu Sachschaden, zu Verletzten.

Ich bin ein Risiko, denn - ich bin eine Frau. Ich könnte Kinder bekommen, welche zu gewalttätigen Jugendlichen heranwachsen. Außerdem könnte ich Opfer, Täterin oder Anlass einer Eifersuchtsstraftat sein.

Ich bin ein Risiko, denn - ich bin Strafverteidigerin. Ich habe beruflich mit Verstößen gegen die allgemeine Sicherheit und Ordnung zu tun.

Es besteht begründeter Anfangsverdacht gegen mich.
- Ich habe weder Kunden- noch Kreditkarten.
- Ich habe noch nicht mal meine DNS oder meine Fingerabdrücke an eine Datenbank geschickt.
- Ich habe Gardinen vor den Fenstern hängen.

Ich verberge etwas, also habe ich etwas zu verbergen. Es besteht der Haftgrund der Gefahr. Ich bin ein Risiko. Wo ein Risiko ist, besteht Gefahr. Damit besteht der Haftgrund der Gefahr. Es wäre also sicherer, mich einzusperren. Was spricht noch dagegen? Nichts, wenn es 1.geeignet 2. erforderlich und 3. angemessen wäre.

1. Wäre meine Inhaftierung geeignet, Sicherheit zu schaffen?
Wenn ich als Auto fahrende Frau dem Straßenverkehr durch Inhaftierung entzogen wäre, wäre dieser sicherer. Außerdem könnte ich in Haft weder meinen Beruf ausüben, noch schwanger werden. Eifersuchtsstraftaten wären auch unwahrscheinlich. Die Haft wäre also geeignet.

2. Gäbe es ein gleich geeignetes, milderes Mittel um Sicherheit zu erreichen?
Als milderes Mittel käme in Betracht, das Auto fahren und Kinder bekommen unter Erlaubnisvorbehalt zu stellen. Ferner wäre die Auflage, figurverhüllende Kleidung zu tragen, erforderlich. Weiter müsste die totale Überwachung angeordnet werden.

Falls mir erlaubt werden würde, ausnahmsweise Auto zu fahren, müssten dessen Daten über das Maut-System erfasst werden, idealerweise ergänzt durch meine Flug- und Zugreisedaten, um ein möglichst vollständiges Bewegungsprofil zu erreichen.

Ich dürfte nur noch unbar bezahlen. Meine Bank- und Kontendaten müssten zentral erfasst und von automatisierter Software analysiert werden. Unregelmäßigkeiten würden sofort an das zuständige Finanzamt oder die Staatsanwaltschaft weitergeleitet werden. Denn Steuerhinterziehung geht uns alle an.

Selbstverständlich müssten sämtliche Daten meiner Telefon- und Internetnutzung für mindestens 1 Jahr gespeichert werden. Zur Abfrage dieser Daten, benötigt man zwar derzeit laut Bundesverfassungsgericht noch einen richterlichen Beschluss. Aber wenn dieser gerade mal nicht zur Hand ist … mit den  Verwertungsverboten sieht man es in Deutschland ja nicht so eng wie in Amerika.

Schließlich müssten die Daten meiner ärztlichen Untersuchungen zentral gespeichert werden. Der Arzt könnte bei den Untersuchungen auch gleich meine DNS nehmen und auf Gendefekte hin kontrollieren. In meinem eigenen Interesse natürlich. Sollte sich ein DNS-Fehler erweisen, hätte dies Auswirkungen auf die Erlaubnis, Kinder zu bekommen.

Sollte sich darüber hinaus feststellen lassen, dass ich durch meine ungesunde Lebensweise krank werde und die Behandlungskosten versuche, der Versicherungsgemeinschaft aufzubürden, müsste ich mit der  Einleitung eines Strafverfahrens wegen Untreue rechnen – wegen der Gesundheits- und schadensgleichen Vermögensgefährdung.

Wenn ich nichts zu verbergen hätte, hätte ich ja auch nichts zu befürchten. Sollte ein Ermittlungsverfahren zu Unrecht initiiert worden sein, würde es ja früher oder - später - eingestellt werden. Die Wohnungsdurchsuchungen, Beschlagnahmen, Verhöre von Nachbarn, Freunden, Arbeitgebern, Kollegen und schlaflosen Nächte der Ungewissheit wären im Ergebnis ein milderes Mittel als die Haft.

Dem stünden jedoch der Personal- und Sachmittelaufwand entgegen. Es wäre ein höherer Aufwand, als mich einfach einzusperren. Damit gäbe es kein gleich geeignetes, milderes Mittel zur Haft.

3. Stellt sich nur noch die Frage der Angemessenheit.
Steht der Verlust meiner Freiheit außer Verhältnis zu dem Gewinn an Sicherheit? Sicherheit gibt uns ein gutes Gefühl. Die Zahl der Versicherungsabschlüsse beweist das.

Dass dieses Gefühl trügerisch ist, beweist die Zahl der Schadensmeldungen. Nichtsdestoweniger besteht der Wunsch nach Sicherheit.

Es heißt ja schon: Einigkeit und Recht und Sicherheit. Oder nicht? Nein: es heißt: Einigkeit und Recht und Freiheit. So unwichtig kann uns Menschen die Freiheit also nicht sein.

Denken Sie nur an die Menschen, die im Kampf für ihre Unabhängigkeit, also Freiheit, ihr Leben einsetzen. Sie könnten es so viel sicherer unter der Herrschaftsmacht haben. Sie bevorzugen jedoch den unsicheren Einsatz für die Freiheit. Freiheit ist unseren Herzen ein höheres Gut.

Das erklärt, warum uns das Grundgesetz gleich zu Beginn, also an vorrangiger Stelle, in Art. 2, Freiheit gewährt. Art. 2 Abs. 1 GG verspricht uns allgemeine Handlungsfreiheit. Art. 2 Abs.2 S. 2 GG sagt: „Die Freiheit der Person ist unverletzlich“. Schön wär’s. Gemeint ist: die Freiheit sollte unverletzlich sein. Es ist ein Anspruch des Bürgers gegen die 3 Gewalten des Staates. Was machen die 3 Gewalten des Staates (mit Ausnahme des Bundesverfassungsgerichts) mit diesem Anspruch? Sie formulieren ihn seit dem 11.9.2001 um in: „Die Sicherheit der Person ist unverletzlich“.

Die Freiheit ist sehr verletzlich. Sie bedarf höchsten Schutzes. Oder anders gesagt: Die Freiheit muss in Sicherheit gebracht werden.

Zur allgemeinen Handlungs- und Fortbewegungsfreiheit gehört nicht nur die Freiheit zu Handeln und sich fortzubewegen, sondern dies auch unbeobachtet zu tun. Der Normalbürger muss keine Staatspaparazzi ertragen. Dafür wurde die Mauer nicht zu Fall gebracht.

Denn Geheimnisse sind wichtig. Oder erzählen Sie Ihrer Frau alles?

Ich habe nichts zu verbergen und dennoch möchte ich mich hier nicht nackt ausziehen. Ebenso wenig möchte ich, dass meine verkörperten Gedankenerklärungen betrachtet werden.

Es wäre nicht gefährlich für mich, wenn jemand meine Freundinnengespräche oder EMails über den  neuesten Erwerb von Fußbekleidung oder darüber, ob er das gesagt hat, was er gemeint hat oder nicht, abfängt. Es wäre mir aber unangenehm. Stellen Sie sich vor, jemand würde hinter Ihrem Badspiegel eine Kamera installieren.

Es ist vergleichbar mit dem Gefühl, wenn ein Polizeiwagen neben oder hinter mir an der Ampel steht.  Unwillkürlich frage ich mich, ob ich angeschnallt bin und mein Handy in der Tasche und nicht am Ohr ist. Es beschleicht mich dieser leise Anflug eines schlechten Gewissens. Völlig unbegründet natürlich.

Ich habe nichts zu verbergen, will es aber trotzdem. Darunter würde die Sicherheit auch nicht  entscheidend leiden. Denn Sicherheit und Freiheit stehen in keinem ausgewogenen Austauschverhältnis.

Wir müssten mit barer Freiheitsmünze bezahlen und würden eine Sicherheitsseifenblase dafür erlangen. Das wäre kein angemessener Preis. Das wäre kein angemessener Eingriff.

Ich beantrage daher: FREISPRUCH!!!

Schlagzeilen

Weisheitszähne haben mit Engständen an den vorderen Zähnen selten etwas zu tun

Das Thema kommt bei unseren Sprechstunden alle 3 bis 4 Wochen vor, wenn zum Beispiel wieder ein Jugendlicher Zahnspangenträger mit seinem großen Röntgenbild vom Kieferorthopäden zu uns geschickt wird. Der oder die Kollege/in wünscht von uns die Entfernung der Weisheitszähne. Warum und weshalb erfahren wir von der begleitenden Mutter: "Damit sich die Zähne vorne nicht verschieben". Dann folgt eine typische Auseinandersetzung zwischen uns und der Mutter über die wissenschaftliche Erkenntnis bezüglich der Weisheitszähne und deren Auswirkung auf einen frontalen Engstand. Leider hat diesem Fall der Kieferorthopäde keine zwei Sekunden über die von ihm veranlasste Zahnentfernung nachgedacht. Und würden wir das tun, was wir Deutsche am besten können, nämlich einfach ohne selber nachzudenken funktionieren, dann würden wir als der Hauszahnarzt an dieser Stelle dem Patienten die Weisheitszähne einfach entfernen. Schließlich verdienen wir damit unsere Brötchen. Das Spielchen spielen wir aber nicht mehr mit.

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