Seit wann es Zahnweh gibt

Forscher finden bei 275 Millionen Jahre altem Fossil Hinweise auf Probleme mit dem Gebiss.

Zahnausfall, hässliche Entzündungen und sogar Knochenschwund im Kiefer – schon Labidosaurus hamatus litt unter Zahnschmerzen: Zumindest einige Exemplare der plumpen, eidechsenartigen Reptilien mit dem übergroßen Kopf hatten anscheinend große Probleme mit ihren Zähnen. Das haben kanadische Forscher bei der Untersuchung eines gut erhaltenen Unterkiefers aus einem Museum entdeckt. Bei den Schmerzen handelte es sich möglicherweise um den Preis, den die Tiere für eine ansonsten äußerst erfolgreiche evolutionäre Neuerung zahlen mussten, spekulieren die Forscher: Labidosaurus gehörte zu den ersten Landwirbeltieren, bei denen die Zähne fest im Kiefer verankert waren und nicht ständig durch neue Zähne ersetzt wurden. Damit konnten er und seine Verwandten auch faserige Pflanzenkost zerkleinern und so neue Lebensräume erobern, schreiben Robert Reisz von der Universität von Toronto und seine Kollegen.

Die Paläontologen hatten mehrere Kieferfragmente von Labidosaurus hamatus untersucht, einer primitiven Reptilien-Art, die vor etwa 275 Millionen Jahren im heutigen Texas lebte. Einer der Funde, ein Unterkiefer aus dem Naturhistorischen Museum in Pittsburgh, Pennsylvania, erregte dabei die Aufmerksamkeit der Wissenschaftler: Obwohl ungewöhnlich gut erhalten wies der Knochen einige sehr auffällige Veränderungen auf. So waren die Zähne im vorderen Bereich stark beschädigt, wobei einige der freiliegenden Stümpfe von Knochenpfropfen verschlossen waren. Zudem schienen mehrere der Zahnfächer stark vergrößert, und es fand sich eine tiefe Furche im Knochen, die sich über einen Bereich von mehreren Zähnen hinzog. Im hinteren Teil war der Kieferknochen zudem stark zersetzt.

Diese Schäden, da sind sich die Wissenschaftler sicher, müssen bereits zu Lebzeiten des Tieres entstanden sein. Wahrscheinlich brachen die vorderen Zähne bei einem Unfall oder einer durch einen Kampf verursachten Verletzung ab, skizzieren sie ein mögliches Szenario. Im Anschluss daran bildete sich eine knöcherne Verkapselung, die nach und nach das offenliegende Zahnmark bedeckte. Dabei wurden jedoch auch Bakterien aus der Mundflora im Kieferknochen eingeschlossen, die eine heftige Entzündungsreaktion auslösten. Es bildete sich wohl zuerst ein eitriger Abszess, später griff die Entzündung dann auch auf das umliegende Gewebe über, bis aus der lokalen Infektion eine chronische Entzündung des Knochenmarks wurde.

Diese erfasste später mindestens drei weitere Zähne und den dazugehörigen Knochen. Vermutlich lösten sich dabei auch Knochenstückchen aus dem Kiefer, und es bildete sich eine Fistel, durch die der Eiter nach außen abfließen konnte, vermuten die Wissenschaftler. Schlussendlich hatten die betroffenen Zähne keinen Halt mehr und fielen aus, und der Kieferknochen war unwiederbringlich geschädigt. Die Entzündung war so heftig, dass der Labidosaurier nach Ansicht der Forscher durchaus daran gestorben sein könnte. Zumindest könnte sie zu einem vorzeitigen Ableben beigetragen haben, denn zum Zeitpunkt des Todes sei die Infektion definitiv noch aktiv gewesen, sagen Reisz und seine Kollegen.

Die Spuren der Infektion im Kiefer sind laut den Wissenschaftlern die ältesten Hinweise auf Zahnprobleme überhaupt - gut 200 Millionen Jahre älter als der bisherige Rekordhalter, der Kiefer eines Hadrosauriers, der vor etwa 70 Millionen Jahren lebte. Mit ihrem Alter von etwa 275 Millionen Jahren stammen sie spannenderweise aus einer Zeit, in der die ersten Landwirbeltiere ihren Speiseplan erweiterten – sie fraßen nicht mehr nur tierisches Futter, sondern auch pflanzliche Kost. Ermöglicht wurde ihnen das, weil sich die zuvor lose im Kiefer sitzenden Zähne nach und nach immer fester im Knochen verankerten, so dass sich auch harte, faserige Nahrung kauen und zerkleinern ließ. Allerdings hatte diese Entwicklung zur Folge, dass die Zähne nicht mehr – wie bei ihren primitiveren Vorfahren – ständig nachgebildet und beschädigte Zähne so recht schnell ersetzt wurden. Die Zahnschäden und die damit wohl einhergehenden Schmerzen waren demnach der Preis für ein Erfolgskonzept: Die Captorhinidae waren die ersten Reptilien, die es schafften, nahezu die ganze Welt zu erobern.

Robert Reisz (University of Toronto, Mississauga) et al.: Naturwissenschaften, Online-Vorabveröffentlichung, doi: 10.1007/s00114-011-0792-1

Schlagzeilen

Weisheitszähne haben mit Engständen an den vorderen Zähnen selten etwas zu tun

Das Thema kommt bei unseren Sprechstunden alle 3 bis 4 Wochen vor, wenn zum Beispiel wieder ein Jugendlicher Zahnspangenträger mit seinem großen Röntgenbild vom Kieferorthopäden zu uns geschickt wird. Der oder die Kollege/in wünscht von uns die Entfernung der Weisheitszähne. Warum und weshalb erfahren wir von der begleitenden Mutter: "Damit sich die Zähne vorne nicht verschieben". Dann folgt eine typische Auseinandersetzung zwischen uns und der Mutter über die wissenschaftliche Erkenntnis bezüglich der Weisheitszähne und deren Auswirkung auf einen frontalen Engstand. Leider hat diesem Fall der Kieferorthopäde keine zwei Sekunden über die von ihm veranlasste Zahnentfernung nachgedacht. Und würden wir das tun, was wir Deutsche am besten können, nämlich einfach ohne selber nachzudenken funktionieren, dann würden wir als der Hauszahnarzt an dieser Stelle dem Patienten die Weisheitszähne einfach entfernen. Schließlich verdienen wir damit unsere Brötchen. Das Spielchen spielen wir aber nicht mehr mit.

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